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Die Jellyfizierung der Weltmeere

Weltweit nehmen die Nachrichten von Quallen-Invasionen an Badestränden zu. So gab es zeitweise an einigen Stränden mehr als 10.000 Verletzte. Etwa 100 Menschen sterben jährlich durch Kontakte mit Quallen – das ist 10-mal mehr als durch Haibisse. Einige Küstenregionen versuchen, die Eindringlinge mit Unterwassernetzen oder Unterwasser-Saugern von den Stränden fernzuhalten. In Spanien stehen zahlreiche Fischer bereit, um Quallenschwärme, die sich dem Ufer bis auf 100 Meter nähern, mit Netzen aus dem Meer zu ziehen.

Viele Wissenschaftler machen das gestörte Ökosystem im Meer und den Klimawandel für die zunehmende Quallenplage verantwortlich.

Diese Faktoren spielen eine Rolle:

Faktor 1:
Durch die Überfischung haben Quallen weniger Feinde und Nahrungskonkurrenten. In früheren Zeiten wurden sie von Thunfischen, Schwertfischen und Schildkröten in Schach gehalten. Kleinere Fische konkurrierten mit ihnen um die Nahrung, das Plankton. Die Verschmutzung und Überdüngung der Küstenzonen schafft für Plankton ideale Bedingungen, so dass es in Massen vorhanden ist. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO schrumpften die Fischbestände binnen 40 Jahren um mehr als die Hälfte. In Europa gelten 93 % der Bestände als überfischt (Stand: 2015). Das gilt auch für Meeresschildkröten, deren Lieblingsspeise Quallen sind, und die zuhauf am Plastikmüll verenden. Nicht nur Schildkröten halten z. B. Plastiktüten für Quallen und fressen sie, auch Fische halten kleinere Plastikpartikel für Plankton und verhungern mit gefülltem Magen.

Entwicklungsstadien einer Qualle vom Polypen zur Meduse. Fotocollage: Thomas Kujawski, ASA-Multimedia

Faktor 2:
Durch den Klimawandel stieg die Durchschnittstemperatur im Mittelmeer um zwei bis drei Grad an. Wegen ausbleibender Niederschläge wurde das Meerwasser salziger. Für viele Fische sind diese Bedingungen lebensbedrohlich, jedoch nicht für Quallen. Sie kommen zudem gut mit steigenden Temperaturen klar und überstehen auch den für viele Arten gefährlichen Sauerstoffmangel, der in manchen Küstenzonen auftritt, besser.
Dünger und Abwässer lassen die Meere versauern – es kommt zu Algenblüten, deren absterbende Reste zu Boden rieseln und dort Sauerstoff verbrauchen. So entstehen die sogenannten „toten Zonen“, in denen sich Quallen ungestört vermehren können. Die Erwärmung der Meere hat auch zur Folge, dass selbst mediterrane Quallenarten weiter nördlich wandern. So tauchte 2009 ein riesiger Schwarm von gefährlichen Leuchtquallen (Pelagia noctiluca) von 25 Quadratkilometern Fläche und 12 Metern Tiefe vor Nordirland auf. Auch durch den zunehmenden Schiffsverkehr gelangen Quallen als „blinde Passagiere“ in fremde Küstenregionen und können sich dort ausbreiten. So ist die Meer-Walnuss (Mnemiopsis leidyi), eine Rippenqualle, durch Frachtschiffe von Nordamerika in die Ostsee eingeschleppt worden. Sie gilt als „Fisch-Killer“, denn sie frisst Jungfische und ist zudem ein Nahrungskonkurrent.

Quallen werden auch zu einem wirtschaftlichen Problem: Riesige Quallenschwärme bedrohen zum Beispiel Aquakulturanlagen. 2009 trieb ein Schwarm in zwei Lachsfarmen in Irland hinein, 240.000 Fische starben. In Schweden, Japan oder Kalifornien werden die Quallen auch zum Sicherheitsrisiko für Kernkraftwerke und andere Industrieanlagen, weil sie die Filter der Kühlanlagen verstopfen. Sie verkleben Fischernetze oder lassen diese so schwer werden, dass sie reißen oder sogar das Boot kentert.

 

Ein internationales Forscherteam hat Quallensichtungen von 1874 bis 2011 ausgewertet und erkennt ein regelmäßiges Muster: Quallen scheinen sich in einem 20-Jahre-Zyklus besonders stark zu vermehren. In diesem Zeitraum nimmt die Zahl der Meerestiere deutlich zu, um anschließend wieder deutlich abzunehmen. Insgesamt sei die Zahl der Individuen in den letzten Jahren jedoch gestiegen. Die Daten sollen helfen, künftige Quallenplagen vorhersagen zu können.

Müssen mehr Quallen genutzt werden?

In einigen Ländern der Welt werden die gallertigen Tiere zu Essen verarbeitet. Die Chinesen mögen sie als Quallensalat, die Japaner als Sushi. Fischer in immer mehr Ländern widmen sich deswegen dem Quallenfang. In Thailand, Australien, China und Mexiko fahren kleine Fischerboote aufs Meer, um Quallen zu fangen. Pro Jahr werden mindestens 750.000 Tonnen Qualle aus dem Meer gefischt. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) rief 2013 die Industrien – insbesondere die Kosmetikindustrie – auf, Quallen zu verarbeiten, damit sich die Fischbestände erholen können.

 

Das europäische Forschungsprojekt GoJelly sucht daher nach Wegen, Quallen zu nutzen, ob in der Landwirtschaft, als Nahrungsmittel oder zur Filtration von Mikroplastik. Für die Kosmetik- und die Pharmaindustrie können Quallen ebenfalls als Ressource dienen, denn sie enthalten ein Kollagen mit ganz speziellen Eigenschaften. Auch oceanBASIS, die schon lange Kollagen aus Quallen für ihre OceanCollagen Produkte isolieren, ist an dem Projekt beteiligt.

 

Weitere Informationen zum Projekt GoJelly gibt es im Blogbeitrag „Quallen – eine Plage? Nein – ein Segen!“

Euronews hat einen 4-minütigen Film zum GoJelly-Projekt herausgebracht (Januar 2020, englischsprachig):
Zur Euronews-Seite

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