Korallen in kalter Tiefe

Korallenriff – bei diesem Wort denken die meisten an tropische Strände, bunte Fische und interessant geformte Strukturen in sonnendurchflutetem, türkisblauem Wasser. Die Bilder, die wir im Kopf haben, sind durch sogenannte Warmwasserkorallen geprägt. Doch es gibt auch andere Korallen, die in den kalten, dunklen Tiefen der Ozeane leben, sogenannte Kaltwasserkorallen. Doch bevor wir zu den Kaltwasserkorallen abtauchen, möchte ich erst einmal erklären, was genau eine Koralle ist, und wie sie funktioniert.

Was sind Korallen?

Korallen bestehen prinzipiell aus Polypen, das sind kleine Tierchen (keine Pflanzen!) mit einem Tentakelkranz (siehe Abb. 1). Ein einzelner Polyp vermehrt sich durch Klonung und bildet so eine Kolonie. Alle Polypen der Kolonie scheiden ein Kalkgehäuse ab, das zusammen ein großes Ganzes bildet, den Korallenstock. Dieser Korallenstock ist das Gebilde, was wir gemeinhin als „Koralle“ wahrnehmen (Abb. 2). Viele Korallenstöcke, auch von verschiedenen Korallenarten, bilden zusammen ein Korallenriff. Den Kalk, den die Polypen zum Aufbau eines Korallenstocks brauchen, nehmen sie übrigens aus dem Wasser auf. Um sich zu ernähren hängen die Polypen ihre Tentakel aus kleinen Löchern im Korallenstock ins Wasser und fangen winzige Planktonorganismen und Nahrungspartikel, die vorbeitreiben und an den Tentakeln hängen bleiben.

Polyp einer Warmwasserkoralle

Polyp einer Warmwasserkoralle mit den typischen symbiontischen Algenzellen. Viele solcher Polypen bilden zusammen einen Korallenstock, also das, was man von außen als eine große Koralle wahrnimmt. Kaltwasserkorallen besitzen keine Algensymbionten.

Doch das ist nicht ihre einzige Nahrungsquelle: Sie haben zusätzlich kleine einzellige Algen als Symbionten. Diese Algensymbionten (sogenannte Zooxanthellen) betreiben Photosynthese und bilden dabei Kohlenhydrate, die sie an die Korallen abgeben. Die Symbiose zwischen Polypen und Algenzellen ist sehr effektiv – die Polypen bieten den Algenzellen Schutz vor Fressfeinden, geben Nährstoffe an sie ab und werden dafür von ihnen mit Kohlenhydraten gefüttert. Das funktioniert aber nur, wenn die Algen Sonnenlicht abbekommen, denn ohne Sonnenlicht können sie keine Photosynthese betreiben. Deshalb müssen diese Korallenarten im flachen Wasser leben, wo es genug Sonnenlicht für ihre Algensymbionten gibt. Da sie es außerdem warm mögen, kommen sie ausschließlich in flachen, hellen, tropischen Meeren vor, man nennt sie deshalb Warmwasserkorallen.

Korallenstock

Die Polypen schauen mit ihren winzigen Tentakelkränzen aus dem Korallenstock heraus und versuchen Nahrungspartikel aus dem Wasser einzufangen.

Kaltwasserkorallen

Doch es gibt auch Korallenarten, die keine Algensymbionten benötigen und ausschließlich von Kleintieren und Nahrungspartikeln aus dem Umgebungswasser leben können, die sie mit ihren Tentakeln fangen. Und auch sie können Riffe aus Kalk aufbauen, benötigen aber kein Sonnenlicht dazu. Diese Gruppe von Korallen kommt auch in den dunklen, kalten Tiefen der Ozeane vor, dann nennt man sie Kaltwasserkorallen. Erst in jüngerer Vergangenheit wurde ihre große Bedeutung für das Ökosystem Meer erkannt.

Wo gibt es Kaltwasserkorallenriffe?

Riffe aus Kaltwasserkorallen wurden an vielen Orten auf der Welt entdeckt, meist durch abgebrochene Korallenäste in Fischernetzen oder bei der Suche nach Ölvorkommen in der Tiefsee. Sie bilden sich häufig an den Kontinentalabhängen, d. h. an steilen Unterwasserhängen, die vom flacheren Wasser an den Rändern der Kontinente in die großen Tiefen der offenen Ozeane (meist um 4000 m) führen. Außerdem besiedeln Kaltwasserkorallen die Hänge und Kuppen von Unterwasserbergen. Typischerweise findet man sie in Tiefen von 200-400 m, aber man hat auch schon Individuen in 39 m und in 3000 m Tiefe gefunden (Geomar.de). Aufgrund ihres Vorkommens in diesen großen Tiefen blieben sie lange verborgen, z. B. wurde eines der größten Kaltwasserkorallenriffe der Welt (mindestens 400 km Länge) vor der Küste von Mauretanien in Nordwestafrika erst in den 90er Jahren entdeckt (Wienberg 2018). Auch in norwegischen Fjorden, in der Nordsee zwischen der schwedischen und norwegischen Küste und in den Tiefen des Mittelmeers gibt es Kaltwasserkorallenriffe, von denen die meisten Menschen an den Küsten nichts ahnen.

Auch im Kaltwasserkorallenriff ist die Lebensgemeinschaft bunt und vielfältig. Der einzige Unterschied ist, dass sich das Riff in großer Tiefe befindet und ohne Sonnenlicht auskommt. – Detailaufnahme des norwegischen Roest Riffs mit Gorgonien (Primnoa und Paragorgia arborea), Steinkorallen (Lophelia pertusa) und Schlangensternen (Gorgonenhäuptern), fotografiert während der POLARSTERN-Ausfahrt ARK22-1a.

Bunte Vielfalt in schwarzer Tiefe?

Sind Kaltwasserkorallenriffe genauso bunt wie tropische Warmwasserkorallenriffe?
Ja! Es gibt zwar bei weitem weniger Kaltwasserkorallenarten als Warmwasserkorallenarten, aber die Kaltwasserriffe sind genauso bunte Lebensräume mit extrem hoher Artenvielfalt wie ihre tropisch-warmen Pendants, nur dass man diese Vielfalt aufgrund ihres in der Tiefe verborgenen Standorts nicht so einfach zu Gesicht bekommt. In den Kaltwasserriffen wimmelt es von bunten Fischen, Seesternen, Seeigeln, Krabben, Seegurken und vielem mehr. Auch viele kommerziell wichtige Fische halten sich in Kaltwasserriffen auf. Die Korallen selbst sind meistens leuchtend weiß oder rot gefärbt.

Sind die Kaltwasserkorallen gefährdet?

Obwohl wir Kaltwasserkorallenriffe noch nicht lange kennen, sind sie schon jetzt gefährdet. Sie wachsen deutlich langsamer als ihre tropischen Kollegen, denn sie haben nicht die Unterstützung der Algensymbionten. Und so kann es passieren, dass ein Zug mit einem Tiefseeschleppnetz ein Riff zerstört, das tausende Jahre gebraucht hat um zu wachsen. Da die Fischereiflotten auch zunehmend in großen Tiefen agieren, sind die Kaltwasserkorallen stark durch deren Grundschleppnetze gefährdet. Weitere Gefahren sind der durch den Klimawandel und die Einleitung von Dünger immer mehr zunehmende Sauerstoffmangel in den Ozeanen, der das Wachstum der Korallen hemmt. Auch unterseeische Bergbauaktivitäten (Ölbohrungen, Suche nach seltenen Erden), und die durch den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid zunehmende Versauerung der Ozeane, die die Kalkbildung der Korallen erschwert, sowie die Korallenbleiche sind Gefahren für diese besonderen Ökosysteme.

Um die Kaltwasserkorallen zu bewahren haben erste Länder angefangen besondere Schutzgebiete einzurichten, in denen Schleppnetzfischerei verboten ist (Huvenne et al. 2016). Es bleibt zu hoffen, dass diese wunderschönen und wichtigen Lebensräume auch weiter geschützt und erhalten werden können, auch wenn sie sich unserem Blick so effektiv entziehen.

Quellen:
Huvenne VAI, Bett BJ, Masson DG, Le Bas TP, Wheeler AJ (2016) Effectiveness of a deep-sea cold-water coral Marine Protected Area, following eight years of fisheries closure. Biological Conservation, 200: 60-69
Wienberg C, Titschack J, Freiwald A, Frank N, Lundälv T, Taviani M, Beuck L, Schröder-Ritzrau A, Krengel T, Hebbeln D (2018) The giant Mauritanian cold-water coral mound province: oxygen control on coral mound formation. Quaternary Science Reviews 185:135–152
Geomar.de: https://www.geomar.de/news/article/kaltwasserkorallen-die-heimlichen-schoenheiten-der-tiefe, accessed: 16.01.2023

Bildnachweis:
Titelbild: Foto: ROV-Team, Geomar.
Zeichnung: Rafael Meichßner
Polypen / Korallenstock: Bild von Marcelo Kato auf Pixabay
Roest Riff: Foto: JAGO-Team, Geomar

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